Stunden später finde ich mich in einem süßen kleinen Bistro mit Blick auf einen historischen Platz wieder. Die Sonne scheint, alle haben gute Laune und im Radio läuft “Englishman in New York”. Das muss dieses “La Dolce Vita” sein. Kann man sich dran gewöhnen :)
Die Straßen sind am Sonntag früh noch recht leer. Angenehm. Viele Rollläden sind noch unten. Ein paar Tauben spielen im Dreck. Vor dem Fenster sitzt ein Bettler und Passanten stecken ihm gelegentlich etwas zu. Geistliche in weiten Kutten schreiten ehrwürdig vorbei.
Schnittig frisierte Italiener mit gekonnt lockerer Art lächeln die jungen Damen hinterm Tresen an. Die erklären geduldig die zahlreichen Geschmacksrichtungen des Gebäcks und merken sich die Bestellung während der Zeit der Anwesenheit im Bistro. Das System basiert offenbar auf Vertrauen. Denke ich komme morgen wieder.
Während ich so auf den Platz blicke, versuche ich zu verstehen, wie die Verkehrsregeln funktionieren. Es gibt hier keine Ampeln, jeder geht oder fährt, wie er denkt und der Rest wird scheinbar untereinander ausgehandelt bzw. antizipiert. Das Konzept scheint mehr auf Kommunikation als auf starren Regeln aufzubauen. Scheint ganz gut zu klappen. Gut.. so viel ist noch nicht los, mal beobachten.
Da die Wege in Rom nicht unwesentlich sind und weil ich immer noch nicht richtig fit bin, hab ich mich entschieden ein Rad zu mieten um besser voran zu kommen und unabhängiger von öffentlichen Verkehrsmitteln zu sein. Daher mein erhöhtes Interesse am Straßenverkehr. Es gibt hier wenige Radwege, aber man kann mit dem Rad auch in die Fußgängerzonen fahren. Auf der anderen Seite teilt man sich die Straßen mit Autos, Bussen und LKWs.
Die Leihe hab ich vorher online reserviert und die Abholung war nicht weit von meiner Unterkunft. Ne Freundin hatte mir davon abgeraten, wegen des Verkehrs und ich bin selbst nicht ganz sicher, ob dieses Vorhaben gut durchdacht ist. Aber der Vermieter bietet mir nicht mal nen Helm an, also was soll da schon passieren ;)
Also gut.. dann auf ins Abenteuer. Der erste Stop ist die Piazza Venezia. Hier steht ein großes Monument zu Ehren von König Viktor Emanuel II. Dieser hat 1861 Italien quasi geeint und ist demnach eine wichtige Größe im Gründungsmythos. Deshalb gibts auch Feuerschalen und zwei Soldaten wachen in strengem Spalier über den ganzen Marmor und zwei Italienflaggen.
Mich interessiert vor allem die Aussicht und was sich gleich nebenan befindet. Dort ragt nämlich die Trajanssäule ca. 30 Meter in die Höhe. Diese wurde vor knapp 2000 Jahren dort aufgestellt um Kaiser Trajan zu ehren. Der hatte mit dem “Trajansforum” die vierte große Erweiterung zum Forum Romanum geschaffen um mehr Platz für all die Beamten zu schaffen. Heute kann man neben der Trajanssäule auch die Überreste des Forum sehen u.a. mit beeindruckenden Säulenreihe in gigantischen Ausmaßen.
Durch diese Szenerie ziehen Läufer ihre Morgenrunde. An neuralgischen Punkten bieten überwiegend afrikanisch aussehende Verkäufer Selfie-Sticks und Powerbanks zum Verkauf. Ein Geiger interpretiert seine Version zu Ed Sheeran “All of Me” (und das gar nicht mal schlecht) während ein asiatisches Pärchen offenbar gerade Hochzeitsfotos macht.
Ich setze mich auf einen bestimmt Jahrhunderte alten Marmorblock unter ein paar Pinien und freue mich über das überragende Wetter und das bisher alles so gut läuft. Schön hier :)
Dann gehts weiter zum Pantheon. Um einen Ersteindruck zu bekommen, umrunde ich das Gebäude erstmal. Vorn angekommen wird der Einlass verweigert. Gottesdienst. Nunja, dann später mehr davon. Nebenan ist die Piazza Navona. Das war früher eine Art Arena, bevor die Wettbewerbe ins Kolosseum umzogen. Daher hat sich u.a. noch die langgezogene Form des Platzes erhalten.
Wettbewerbe gibts hier nur noch um die beste Fotoposition am Brunnen. Ist schon erstaunlich wie die Selfie-Generation zielgerichtet möglichst fotogene Posen einnehmen kann. Meine Generation bringt diese Skills noch nicht mit. Gut, so richtig wichtig finde ich das jetzt auch nicht. Aber es beeindruckt mich. Das haben die sich sicher hart antrainiert.
Auch hier wieder die obligatorischen Afrikaner, glaube die arbeiten alle zusammen. Diesmal gibt es auch noch Rosen. Zum Glück hab ich keine Frau dabei, die sprechen sie nämlich besonders gern an. Sind ein bisschen aufdringlich die Jungs. Im Hintergrund singt eine Frau Opernmusik nach. Leute bleiben stehen und lauschen. Sie ist nicht so schlecht. Aber es klatscht keiner. Wie im Flugzeug. Vielleicht klatscht man in Italien gar nicht?!
Der Brunnen ist übrigens sehenswert. Vier Männer symbolisieren in Form von vier großen Flüssen die damals bekannten vier Erdteile. Obendrauf steht ein ägyptischer Obelisk mit Hieroglyphen. Auch die Kirche daneben bietet was fürs Auge. Vor allem die Gestaltung der Decke find ich gelungen. Sehr bunt und das Licht wird gut aufgenommen und im Raum verteilt. Den Boden ziert Marmor verschiedenster Farben. Gut Carrara ist ja auch nicht so weit weg. Das scheint hier Standard zu sein. Gewidmet ist die Kirche übrigens einer Agnes, die als Märtyrerin verbrannt wurde. Sie soll der Legende nach im Stadion (also dem heutigen Platz) nackt zur Schau gestellt worden sein und auf wundersame Weise haben sich ihre langen Haare dann so verteilt, dass ihre Scham bedeckt war. Ahja.. zu sexy sollte die Story wohl in den Augen der Kirche dann doch nicht werden :)
Dann endlich Pantheon. Im Grunde handelt es sich hierbei um den Prototyp aller großen Kuppelbauten weltweit. Nur ist dieser schon schon knapp 2000 Jahre alt und hat einen Durchmesser von über 40 Meter. Oben in der Mitte befindet sich ein Loch, wo es reinregnet, aber das macht dem Marmor wenig und durch Löcher im Boden fließt das Wasser einfach ab. Gebaut als eine Art Skulpturengalerie zahlreicher Götter (daher der Name), wurde mit der Christianisierung hier dann auch das Kreuz maßgeblich. Bisschen schade in meinen Augen, zumal die Kirche schon auf Grund der Bauform für mich nicht so richtig funktioniert.
Als ich das Gebäude betrete, riecht es noch nach Weihrauch. Lange nicht gerochen. Und es gibt eine Orgel. Also scheinbar doch eine Kirche. Allerdings geht es für eine Kirche hier sehr touristisch zu. Leute legen ihre Handys auf den Boden, damit das klassische Fotomotiv vor dem charakteristischen Loch entsteht. Mehrfach ertönen mehrsprachige Durchsagen mit Bitte um Ruhe. Ich freue mich, dass ich alle Sprachen außer chinesisch verstehe und frage mich, ob automatische Durchsagen wirklich das richtige Mittel sind. Wirkung zeigen die nämlich keine, weswegen dann einer der Geistlichen zum Mikrofon schreitet und beherzt ein “Pssssst” formuliert. Das klappt umgehend auch ohne jede Übersetzung :)
Als ich schon wieder gehen will, fällt mir auf, das genau zur Mittagszeit die Sonne auf den Eingang fällt. Nord-Süd-Ausrichtung also. Passt für mich gut zu einem Gebäude der Götter.
Nächster Halt: Trevi Brunnen. Hier sind wirklich unglaublich viele Menschen. Alle versuchen sich nach vorn zu drängen um das berühmte Bild zu machen, bei dem man ein Geldstück über die Schulter in den Brunnen wirft. Bisschen albern, denk ich, aber es scheint den Leuten Spaß zu machen. Zwischen den Leuten springen noch Verkäufer rum, die anbieten das perfekte Bild zu schießen. Ich biete diesen Service auch, allerdings für lau. Vielleicht gucken die deshalb so böse.
Erstmal ein Eis, gibt mir Zeit bisschen inne zu halten und die Szenerie zu beobachten. Entscheide mich für Schokolade/Minze sowie einen etwas ruhigeren Sitzplatz direkt beim Brunnen. Mittlerweile ist die Polizei in das Treiben eingestiegen und pfeift lautstark die Leute zurück, die allzusehr auf den Steinen herumklettern. Irgendwo muss ein Kreuzfahrtschiff an Land gegangen sein, zumindest sind viele MSC-Sticker mit verschiedenen Nummern unterwegs. Hier eine Gruppe zusammenzuhalten ist bestimmt auch keine große Freude.
Kurz vorm Gehen nehme ich ein 5 Cent Stück aus meiner Tasche und werfe es formvollendet über meine rechte Schulter. Hat irgendwie doch was.
Ich weiß nicht, obs am Sonntag liegt, zumindest sind einige Straßen gesperrt und ich kann bequem mitten auf der Straße entlangrollen, was ziemlich entspannt ist. Das alles hätte ich nicht laufen wollen. Plötzlich steht links noch mal die Trajanssäule, halt warte.. die war doch woanders. Stellt sich raus, dass es die Mark Aurel Säule ist. Anderer römischer Kaiser aber ansonsten genau gleiches Konzept. Nur 80 Jahre jünger.
Dann komme ich an der Spanischen Treppe an. Wirkt ziemlich dekorativ vor allem mit dem Brunnen davor. Ich steige ein wenig die Treppe hoch und setze mich um etwas zu lesen. Beim Bau der Treppe war man sich nicht einig, ob der Papst oder Schutzmacht Frankreich verewigt werden sollte. Frankreich wollte ein Reiterbild, aber das war den Leuten zu martialisch. Letztlich setzte sich der Papst durch und stellte einen ägyptischen Obelisken mit Hieroglyphen auf. Ahja, das mit dem Ägyptenfetisch erschließt sich mir immer noch nicht so ganz. Wirkt für mich sehr unchristlich.
Hinter mir sitzt ein deutsches Paar und beklagt, dass sie das alles nicht so kickt, wie sie es sich gedacht haben. Klar.. ist schon ätzend an einem perfekten Frühlingssonntag in Rom auf einer Treppe zu sitzen und einfach den Tag zu genießen. Typisch deutsch, denke ich. Naja, vielleicht haben die auch einfach Beziehungsstress.
Egal.. oben an der Treppe gibts einen tollen Blick über Rom. Als ich aufsteige, kommt mir noch kurz “Go Trabbi Go” in Erinnerung. Das ist genau die Stelle wo Udo seine Roswitha wiedertrifft. Woher man doch immer seine kulturelle Bildung hat ;)
Piazza del Popolo. Der Name passt, viele Leute hier. Und noch ein Obelisk. Dieser wurde von Ramses 2 vollendet und vor ca. 3200 Jahren in Heliopolis aufgestellt. Vor knapp 2000 Jahren wurde er nach Rom geholt und im Circus Maximus aufgestellt. Immer noch in guter Form, steht er hier Tag und Nacht und kündet vom Gott Horus. Ägypten.. da müsste ich auch mal hin.
Werde langsam müde, bin auch schon wieder 6h unterwegs. Ich überlege Mittagsschlaf zu halten, Wetter ist ja ausreichend. Bisschen Grün wäre nach all den Menschen und Steinen auch nett. Ich steige die Anhöhe im Osten hoch und gelange in den Park an der Villa Borghese.
Hier blühen die Bäume lila und auf den Grünflächen genießen die Römer ihren Sonntag. Guter Spot um durchzuatmen. Ich schließe die Augen und lausche der Mischung italienischer und englischer Gespräche vor einem Klangteppich aus lokaler Tanzmusik und einem überraschenden “We don’t look back in anger”.
Heimweg am Tiber entlang. Um dorthin zu kommen, muss ich das Fahrrad eine steile Treppe runtertragen. Mit körperlicher Schonung hat das nicht viel zu tun. Zumal absehbar ist, dass ich diesen Stunt nochmal hochwärts machen darf. Aber hier ist viel Platz und es ist angenehm beschaulich, da fährt es sich sehr entspannt direkt am Tiber entlang.
Die schöne Lage nutzen auch einige Obdachlose. Sie haben ihre Zelte unter den Brücken aufgeschlagen und sitzen inmitten ihrer Habseligkeiten. Es sind nicht die ersten, die ich sehe. Schon am Pantheon kam mir eine Dame auf einem Skateboard entgegen, deren Beine so verwachsen waren, dass sie damit sicher nicht mehr laufen konnte, weswegen sie sich mit ihren Armen vorwärts schob, wie ein Rennrodler. Da haben die es hier am Tiber schon besser. Einer hat sogar die Pflastersteine aufgerissen und so einen kleinen Vorgarten angelegt. Jetzt ist er gerade dabei diesen zu bepflanzen. Er wohnt zwar unter einer Brücke, aber das heißt nicht, dass er keine Pläne hat. Es ist auch immer, was man daraus macht.
An der Engelsburg jemand spielt “Brick in the Wall”. Lustig bei all den Steinen und Wänden hier. Ich probe derweil ob am Rad überhaupt das Licht geht. So langsam dämmert es nämlich. Geht sehr gut. Das Fahrrad ist in gutem Zustand, nur die Gänge sind etwas hakelig und manchmal schleift die Bremse etwas. Eben ein Rad mit Charakter. Glaube wir beide werden Freunde. Und jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo mal wieder ich meinem Freund unter die Arme greife.
Auf dem letzten Teil des Heimwegs wird mir das Thema Hügel zum ersten Mal richtig deutlich. Es ist so steil, dass ich absteigen und schieben muss. Noch ein Freundschaftsdienst also. Andere haben E-Bikes, das wäre natürlich jetzt von Vorteil. Anyway.. das schaff ich jetzt auch so.
Das Fahrrad stelle ich unten im Hausflur ab und frage vorsichtig bei meiner Gastgeberin. “Hmm, no” ist ihre Antwort und da klopft es auch schon an der Tür. Sie rät das Fahrrad in den Flur innerhalb der Wohnung zu stellen, da die anderen Bewohner alle alt sind und sie ohnehin schon gehasst wird. Ok, also rein in den Lift und schwupps stehts im Flur. (Ok, tatsächlich wars kein schwupps, eher ziemlich hakelig, aber wer will sowas schon lesen)
Die Abendbrotwahl fällt auf Nudeln. Nur bei welchem Italiener? Nur nicht genau das Gleiche wie gestern. Nach einem halben Dutzend interessanten Angeboten gebe ich dem Zuschlag einer Art Sportsbar aus der Bruce Springsteen klingt. Kriterium erfüllt, denk ich :)
An der Wand hängt ein physischer Facebook-Like-Counter auf dem 11913 prangt. Ich kenne die Geräte aus dem Internet. Überlege kurz, ob ich die Reaktionszeit des Counters prüfen soll und dann fällt mir auf, dass das genau die Aktion ist, auf die der Counter abzielt. Ne.. so leicht ist meine Zustimmung nicht zu bekommen.
Für den erfolgreichen Tag belohne ich mich noch mit etwas lokalem Zapfbier. Passt gut zum Essen und irgendwie freue ich mich einfach, dass alles soweit gut klappt. Das muss man auch mal feiern. Wer weiß, ob morgen wieder so tolles Wetter wird.
Als ich gehe läuft gerade Journeys “Don’t stop believin”. Auf dieses Lied gehe ich seit einiger Zeit ziemlich ab. Was will mir der Zufall denn damit sagen? ;)
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